Phase 1 – FOMO
Plötzlich ist das Thema überall: Clubhouse. Menschen auf Instagram, denen ich folge, reden über die App, Freund:innen und Bekannte fragen in sozialen Netzwerken, ob noch jemand eine Einladung übrig hat. Soll Clubhouse DER aufsteigende neue Star am Social Media Himmel sein? Das muss ich mir natürlich ansehen. Gesagt, getan. iPhone schnappen, App kostenfrei laden, und los geh…. Ähm Moment. Ohne Einladung geht hier erst mal gar nichts los.
Mich überkommt ein bedrückendes Gefühl. Verpasse ich mit jeder Minute, die ich nicht bei Clubhouse bin, etwas Großes, etwas Bedeutendes? Da ist sie also: Die allseits bekannte und gefürchtete „Fear of missing out“. Die Angst, etwas zu verpassen.
Neue soziale Netzwerke haben mich immer schon neugierig gemacht. Myspace, StudiVZ, Facebook, Twitter, Youtube, Reddit, Tumblr, Instagram, Pinterest, Jodel, Snapchat, TikTok – überall habe ich mich angemeldet. Ja sogar für Google+ hatte ich als eine der Ersten einen Zugang. Da kann das mit Clubhouse doch nicht so schwer sein.
Phase 2 – Wie komme ich an eine Clubhouse Einladung?
24 Stunden seit dem Download von Clubhouse aus dem App Store. Ich habe noch immer keine Einladung. Währenddessen überschlagen sich die Medienberichte und Postings zu der Audio-only-App. Was haben Clubhouse und Game of Thrones gemeinsam? Beides habe ich nie gesehen und weiß trotzdem alles darüber. Medien und sozialen Netzwerken sei Dank.
Eine Instagramerin versucht, durch ein Einladungs-Schneeball-Prinzip ihre ganze Community rüber zu Clubhouse zu bekommen. Das Prinzip ist einfach: Eine:r fragt unter ihrem Beitrag nach einer Einladung, jemand anderes rückt eine heraus. Die zwei neuen Einladungen, die jeder bei der Anmeldung bekommt, müssen dann ebenfalls unter den Post weitergegeben werden. Schlau, wenn man es auf besonders viele Kommentare in seinem Insta-Feed abgesehen hat. Anyways … ich reihe mich mit ein. Das System geht leider nicht auf. Zu viele suchen, zu wenige haben Einladungen übrig. Oder geben sie nicht her. Ich weiterhin ohne Clubhouse.
Gleiches Prinzip, aber weniger Run: In Marketing-Gruppen bei Xing und LinkedIn werden Einladungen gesucht und vergeben. Doch auch hier sieht es mau aus. Zu viele Menschen sind auf der Suche nach Einladungen. Sackgasse.
Die Google-Suche verrät mir von einer Telegram-Gruppe, in der wohl recht erfolgreich Einladungen für Clubhouse verteilt werden. Kurzerhand trete ich bei, werde innerhalb kürzester Zeit von einer Flut an Nachrichten in der Gruppe überrollt, fliehe sofort wieder. Das ist es nicht wert.
Ich resigniere, öffne Clubhouse und nutze die „Anmelden ohne Einladung“-Funktion. Dann sollen sie mich eben benachrichtigen, sobald die App für alle gewillten Nutzer:innen freigegeben wird. Doch dann: Nur wenige Minuten nach diesem Schritt bin ich drin. Eine ehemalige Kommilitonin, die bereits bei Clubhouse ist, hat über die App wohl eine Mitteilung über mein Beitrittsgesuch bekommen. Und gibt mir eine ihrer Einladungen ab. Fazit: Vitamin B ist auch bei elitären sozialen Netzwerken alles.
Phase 3 – Endlich dabei. Erste Gehversuche
Jüngst erst bin ich (wie Millionen andere) in das TikTok Rabbit Hole gefallen und tue mich schwer, dort wieder herauszukommen. Manchmal scrolle ich abends noch „ein wenig“ durch TikTok, sprich: Nach zwei Stunden lege ich das Handy dann doch endlich zur Seite und schlafe. Das soll mir mit Clubhouse nicht passieren. Also nehme ich es mir fest vor und wähle nach meiner Anmeldung erst mal nur 18 der unzähligen vorgegebenen Interessen aus.
Schnell stellt sich heraus: Weniger ist mehr. Denn sonst steht man einer Flut von Push-Benachrichtigungen gegenüber. Die dort vorgeschlagenen „Rooms“ hören sich alle sehr vielversprechend an. Ich jedoch sitze im Homeoffice und will mich auf meine Arbeit konzentrieren. Die Neugier packt mich immer wieder, ich schiele kurz aufs Smartphone und denke regelmäßig „Spannend! Das würde ich mir jetzt gern anhören“. Da meine Zeit es aber nicht immer zulässt, lebe ich in dem ständigen Gefühl, einen interessanten Talk verpasst zu haben. Ist eine Gesprächsrunde erst einmal vorbei, ist sie unwiederbringlich weg. Die Lösung? Ich ändere die Frequenz der Benachrichtigungen von „Normal“ zu „Very Infrequent“. Durchatmen.
Nach Feierabend (das Wochenende steht vor der Tür) habe ich dann endlich Zeit, mir die App genauer anzusehen. Ich klicke mich durch einige Rooms, höre mal hier, mal dort rein. Die Themen sind vielfältig und passen ziemlich gut zu meinen ausgewählten Interessen. So treibt es mich von Politikjournalismus über einen Feminismus-Talk bis hin zu Marketing-Tipps.
Phase 4 – Ernüchterung
Nach einigen Tagen bei Clubhouse tritt bei mir langsam Ernüchterung und Ermüdung ein. Die Themen sind spannend, die Flut nimmt allerdings überhand. Mein Interesse nimmt schnell ab und ich öffne die App schon jetzt immer seltener. Für viele mag das Konzept des “Social Listening” funktionieren. Meine Konsumvorlieben spricht es allerdings nicht dauerhaft an. Ich muss aber auch gestehen: ein großer Fan von Podcasts war ich nie. Clubhouse – der niemals endende Podcast.
Ein weiteres Problem mit Clubhouse ist die dort suggerierte Intimität, die allerdings nicht existiert. Nicht umsonst hat sich Bodo Ramelow vor über 1.600 Zuhörer:innen beleidigend über Angela Merkel geäußert. Das Medienecho war groß, denn was auf Clubhouse passiert, bleibt – Überraschung – nicht auf Clubhouse. Seine Bemerkung bat er später zu entschuldigen. Sie sei „ein Akt männlicher Ignoranz“ gewesen, schreibt er auf Twitter.
Auch die Abwesenheit von Kontrollinstanzen ist bedenklich. Gerade in einer Zeit, in der Fakenews so beliebt und gefährlich wie nie sind. Über Verschwörungstheoretiker und Co. bin ich bei Clubhouse zwar noch nicht gestolpert, aber es sollte ein Leichtes sein, entsprechende Talk-Rooms zu eröffnen.
Und überhaupt: Wie kommt man im 21. Jahrhundert auf die Idee eines nicht inklusiven sozialen Netzwerkes? Beispielsweise Menschen mit Hörschädigung sind strukturell von der Nutzung der App ausgeschlossen. Eine automatische Transkription der Gespräche in Echtzeit (wie es bei Twitters „Spaces“ gehandhabt wird) könnte das Problem lösen.
Kürzlich wurde angekündigt, dass die Entwicklung einer Android-App für Clubhouse bald beginnt. Ein Release-Datum wurde dabei allerdings nicht genannt. Menschen, die kein Apple Gerät besitzen, bleiben vorerst also auch von der Nutzung ausgeschlossen.
Phase 5 – Fazit
Meine Neugier und Begeisterung für Clubhouse haben sich schnell gelegt. Hin und wieder macht es Spaß, durch die Talks zu scrollen, reinzuhören, neuen Input zu bekommen. Meiner persönlichen Meinung nach ist Clubhouse den Hype allerdings nicht wert. Dieser ist – und da sind sie nicht die ersten – durch den exklusiven Beitritt via Einladungen entstanden und der damit erzeugten Angst der potenziellen Nutzer:innen, nicht mehr am Ball bleiben zu können.
Allen, die noch keine Einladung abstauben konnten oder aber kein iPhone haben, kann ich nur sagen: Ruhig bleiben. So viel verpassen Sie da wirklich nicht. Und ich? Ich bin erleichtert, dass doch nicht jedes neue Social Media Phänomen so addictive auf mich wirkt, wie ich befürchtet hatte.