Der schottische Biologe Alexander Fleming verbrachte den Sommer des Jahres 1928 mit der Erforschung von krankheitserregenden Bakterienkulturen. Nach nur halb verrichteter Arbeit entschloss er sich in den Urlaub zu fahren und vergaß in seiner Schusseligkeit eine seiner Proben im Labor. Nach seiner Rückkehr machte er eine verblüffende Entdeckung: Herumfliegende Pilzsporen, die während seiner Abwesenheit die Petrischale verunreinigt hatten, zerstörten die Bakterien in der Versuchskultur vollständig – das Penicillin war erfunden und durch diesen Zufall werden jährlich Millionen von Menschenleben gerettet.
Diese Anekdote ist millionenfach erzählt worden und es ist unwahrscheinlich, dass sie je in Vergessenheit geraten wird. Warum? Weil Menschen die Welt um sich herum in Geschichten wahrnehmen und jeder Geschichte bestimmte Wirkmechanismen zu Grunde liegen, die sie für uns alle so attraktiv machen.
Seit vor 37.000 Jahren die ersten Höhlenmalereien entstanden, zählt die Kunst des Geschichtenerzählens – das Storytelling – zu einer der bedeutendsten Kommunikationstechniken überhaupt. Dieter Georg Herbst, Dozent an der Leipzig School of Media (LSoM) und einer der führenden Kommunikationswissenschaftler auf dem Gebiet, sieht in der Geschichte zurecht „eine Urform der menschlichen Kommunikation“. Storytelling liegt der Literatur, dem Film und auch dem Journalismus zugrunde und entwickelt sich zuletzt auch immer mehr zu einem Kernelement der Markenführung und Unternehmenskommunikation. Warum? Weil Geschichten an die grundlegenden Arbeitsmechanismen des menschlichen Gehirns anknüpfen: die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen.
Geschichten wirken unbewusst
Eine Studie von Christian Schleier unter dem Titel “Neuromarketing – Über den Mehrwert der Hirnforschung für das Marketing” weist darauf hin, dass unser Gehirn 95 Prozent der einströmenden Informationen unbewusst und nur fünf Prozent bewusst verarbeitet. Sozialpsychologen unterscheiden hier zwischen dem expliziten und dem impliziten Bewusstsein. Sie fanden heraus, dass unbewusste Informationen viel schneller und weitgehend ohne Energieverlust verarbeitet werden, weil das Unbewusste dafür auf bekannte Muster und Erfahrungen zurückgreift: Je erfahrener ein Mensch, desto weniger Zeit und Information braucht er, um eine Entscheidung zu treffen.
Auf dieselbe Art und Weise funktionieren auch Geschichten. Sie beziehen sich strukturell auf bereits Gelerntes, das heißt Muster, Handlungen, Rollen, Schlüsselinformationen. Dieser Bezug wird vor allem in der „Moral der Geschichte“ deutlich – einem auf das eigene Leben anwendbaren Fazit der Story.
Geschichten lösen starke Gefühle aus
Je emotionaler die Story, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns berührt und ihre Botschaft für uns bedeutend wird. Emotionen werden durch das sogenannte limbische System verarbeitet, dem Sitz unserer emotionalen Intelligenz. Es entscheidet ob und wie emotional und relevant eine Information für uns selbst ist und hat damit maßgeblichen Einfluss auf die gesamte Hirnaktivität. So bewirkt das limbische System, dass bedeutungslose und langweilige Informationen lediglich im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden und im Zweifelsfall nicht einmal dahin durchdringen. Weckt eine Botschaft jedoch Emotionen, indem sie beispielsweise an Erfahrungen anknüpft, gelangt sie in das Langzeitgedächtnis. Das limbische System wird besonders von Geschichten, Bildern und emotional aufgeladenen Worten wie etwa „Tod“ oder „Liebe“ angesprochen, schreibt Annie Murphy Paul in der “New York Times”. Darüber hinaus kann das limbische System durch sogenannte Trigger direkt aktiviert werden, wie Petra Sammer in ihrem Buch “Storytelling erklärt.
Geschichten stellen Identifikation her
Jede emotional aufgeladene Geschichte hat gleichzeitig auch das Potenzial, Identifikation mit dem Protagonisten herzustellen. Sie lädt dazu ein, die Figur mit ihren Handlungen oder Charakterzügen leichter zu verstehen und sich in ihre Situation hineinzuversetzen. Wir leiden, weinen und freuen uns mit dem Helden.
Doch wie ist das möglich? Auch hierfür gibt es eine neurowissenschaftliche Erklärung: die so genannten Spiegelneuronen. Damit werden Nervenzellen bezeichnet, die dafür sorgen, dass wir uns in Andere hineinversetzen können, indem wir ihre Gefühle reproduzieren, also spiegeln. Auf das Storytelling übertragen sorgen die Spiegelneuronen dafür, dass mit-erlebte Handlungen bis zu einem gewissen Grad als die eigenen Handlungen wahrgenommen werden.
So kann Storytelling bewusst dafür verwendet werden, um Identifikation mit einem Ereignis, einer Organisation oder einer Person herzustellen. Dabei gilt: Je stärker die Geschichte, umso höher ist die Identifikation der Rezipienten und damit die Glaubwürdigkeit der vermittelten Informationen. Auf dieser Grundlage können nicht zuletzt Argumente, Botschaften und komplexe Sinnzusammenhänge vermittelt werden, die als rein sachliche Argumente oder Fakten kein Gehör finden würden.
Geschichten werden in inneren Bildern gespeichert
Der Mensch ist visuell geprägt. So werden über 80 Prozent aller Informationen über den Sehsinn aufgenommen und 60 Prozent der Gehirntätigkeit ist dem Wahrnehmen, Verarbeiten und Speichern von Bildern gewidmet. Auch Geschichten entfalten eine starke visuelle Wirkung, selbst wenn Sie als Text verfasst sind. Dies mag zunächst verwundern, da Texte optisch verschlüsselt sind und nicht direkt die visuellen Zentren des Gehirns ansprechen. Dagegen werden Bilder automatisch mit einer geringen gedanklichen Beteiligung verarbeitet und vermitteln leichter emotionale Erlebnisse.
Die Trennung von Bild und Text greift jedoch beim Storytelling zu kurz. Durch ihren Bezug auf Erfahrungen und Muster, ihre Emotionalität und ihr inhärentes Identifikationsangebot erzeugen Geschichten innere Bilder in den Köpfen ihrer Rezipienten und wirken damit wesentlich stärker, als rein faktische Texte.
Wirkmächtige Geschichten bauen
Und was ist die Moral dieser Geschichte? Wer seine Botschaften langfristig beim Zielpublikum verankern, Identifikation herstellen und Aufmerksamkeit generieren möchte, dem steht mit Storytelling ein wirkungsvolles Instrument zur Verfügung. Wie man dieses Instrument beherrscht, lernen Interessierte vom 27. bis 29. August an der Leipzig School of Media im Seminar “Storytelling”. Das dreitägige Seminar ist interdisziplinär ausgerichtet und wendet sich an Fachkräfte aus Marketing, PR und Journalismus sowie der Film-, Fernseh- und Literaturbranche.
Text: Mariela Sirakova
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