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Datenjournalismus: Das sind die besten Projekte des vergangenen Jahres

von | 15.September 2017 | Allgemein

Redakteure auf der ganzen Welt arbeiten inzwischen fortwährend an datenjournalistischen Veröffentlichungen. Dabei entstehen keineswegs nur schön anzusehende Grafiken und Visualisierungen, sondern hoch relevante journalistische Beiträge. Dies zeigen einmal mehr die „Data Journalism Awards 2017“, die vor einigen Wochen in Wien vergeben wurden. Einige Sieger der wichtigsten Auszeichnung für Datenjournalismus stellen wir an dieser Stelle vor. Darunter ist übrigens auch ein deutsches Medienhaus.

„Crime in Context“ – Kriminalität in den USA

Vielfach ist bei den diesjährigen Preisträgern das Motiv zu erkennen, mit der faktischen Kraft von Daten gegen Unwahrheiten anzukämpfen oder zumindest Vorurteile zu widerlegen. Ein Beispiel dafür ist „Crime in Context“ der Non-Profit-Organisation The Marshall Project. Die Macher stellten sich nach eigenen Angaben am Anfang eine einfache Frage: Steigt oder fällt die Kriminalitätsrate in den Vereinigten Staaten? Das Thema wurde im US-Wahlkampf heiß diskutiert. Donald Trump behauptete etwa wiederholt, es habe um die Sicherheit im Land nie so schlecht gestanden wie heute.

So einfach war die Faktenlage jedoch nicht. Für die Erhebung der US-Kriminalitätsstatistik ist das FBI zuständig. Dem Team von Crime in Context zufolge muss die Bundespolizei dabei Daten von 18.000 Polizeibehörden sammeln und auswerten. Die Daten sind aus verschiedenen Gründen inkonsistent und weil sie so lange bearbeitet werden, gibt es nie ein tatsächlich aktuelles Gesamtbild.

Also sammelte The Marshall Project selbst Daten aus insgesamt 40 Jahren sowie von fast 70 der größten Polizeidirektionen des Landes und wertete diese mit komplexen statistischen Verfahren aus. Zentrales Ergebnis: Trotz eines leichten Anstiegs in den vergangenen Jahren, ist die Kriminalitätsrate heute in den USA auf dem niedrigsten Niveau seit den 1970er-Jahren.

Die Nutzer können sich dies auf der Seite des Projekts für alle bearbeiteten Städte und für verschiedene Delikte selbst graphisch darstellen lassen. Gezeigt wird außerdem, in welchen Städten die Kriminalität tatsächlich gestiegen und wo sie gefallen ist. Die Seite ermöglicht es den US-Bürgern, die teils gegensätzlichen Aussagen von Politikern zum Thema einzuordnen. Alle Seiten nennen eben nur den Teil der Statistiken, der ihre Aussagen belegt.

„Trump And Clinton Debate For The First Time“ – Faktencheck in Echtzeit

Der US-Wahlkampf steht im Mittelpunkt des Vorhaben „Fact Check: Trump And Clinton Debate For The First Time“. National Public Radio (NPR), ein Zusammenschluss von nicht-kommerziellen US-Hörfunksendern, begleitete dabei die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump und Hillary Clinton auf innovative Weise.

Die Hörfunkjournalisten transkribierten in Echtzeit alle Aussagen der beiden Kandidaten im TV-Duell und ergänzten diese mit nur wenigen Minuten Verzögerung um zahlreiche Informationen. Zahlreiche NPR-Reporter ordneten die Aussagen der Politiker mit ihrer Fachexpertise ein, lieferten Fakten, Statistiken und Analysen und verlinkten dabei auf viele weiterführende Quellen.

Das Ergebnis liest sich auch noch Monate nach der Debatte spannend. Nach eigenen Angaben brachte das Projekt NPR viele neue Nutzer. Andere US-Medien starteten daraufhin ähnliche Angebote.

„Unfounded“ – Sexuelle Gewalt in Kanada

Dass datenjournalistische Veröffentlichungen landesweite Debatten auslösen können, belegt das Vorhaben „Unfounded“ von The Globe and Mail in Kanada. Es wurde bei den „Data Journalism Awards“ als beste Recherche ausgezeichnet. Die Journalisten arbeiteten fast zwei Jahre an der Geschichte.

Thema von „Unfounded“ – zu Deutsch: unbegründet – sind Anzeigen zu sexuellen Übergriffen. Die Reporter fanden heraus, dass in Kanada eine von fünf Anzeigen dieser Art als unbegründet klassifiziert wird. Die Polizei stellte in der Folge nicht nur die Ermittlungen ein, sondern tilgte den Vorwurf auch aus allen Statistiken. Die Recherche zeigte außerdem, dass die Zahlen je nach Region des Landes sehr unterschiedlich waren.

Um Erklärungen dafür zu finden, untersuchten die Journalisten selbst mehr als 50 Fälle von sexueller Belästigung. Es zeigte sich, dass die Polizei Untersuchungen zu sexueller Belästigung vernachlässigt, die Rechte von Opfern ignoriert und Vorurteile über Vergewaltigungen die Wahrnehmung der Beamten bestimmten. Um all dies herauszufinden, stellten die Macher mehr als 300 Anfragen nach dem Freedom of Information Act, dem kanadischen Informationsfreiheitsgesetz, studierten viele Fallakten selbst und interviewten zahlreiche Opfer.

Die Recherche hatte konkrete Folgen: Die Regierung bewilligte ein Budget von 100 Millionen Dollar um gegen sexuelle Gewalt vorzugehen; zahlreiche Polizeibehörden des Landes rollten Fälle aus den vergangenen Jahren neu auf; Beamte sollen zukünftig besser geschult werden, um mit diesen Verbrechen umzugehen.

„The Rhymes Behind Hamilton“ – Sezierte Rapmusik

Neben den vielen ernsten Recherchen, wurde bei den Awards aber auch ein sehr unterhaltsames Projekt ausgezeichnet: „The Rhymes Behind Hamilton“. Journalisten des Wall Street Journal untersuchten dabei das international sehr erfolgreiche Rap-Musical „Hamilton“.

Den Preis erhielten die Macher für die beste Visualisierung. Dabei machten Sie laut der Jury das, was gute Visualisierung ausmacht: Einen sehr komplexen Sachverhalt auf einfache Weise beschreiben. Konkret geht es um die verschiedenen Reimschemata, die den Songs des Musicals zugrunde liegen. Die Journalisten programmierten einen Algorithmus, der in den Musiktexten bestimmte Typen von Reimen farblich hervorhebt. Das Team ergänzte diese graphischen Darstellungen zudem um weitere musikwissenschaftliche Informationen.

Die Nutzer haben außerdem die Möglichkeit andere Musiktexte oder eigene Kreationen zu analysieren. Das Ganze funktioniert allerdings nur auf Englisch.

Berliner Morgenpost mit dem besten Portfolio

Den Data Journalism Award für das beste Team erhielt in diesem Jahr eine deutsche Redaktion. Das Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost bekam den Preis für den „klaren“ und „eleganten“ Charakter ihrer Projekte. Die Redaktion habe große Themen angepackt und die dazugehörigen Daten auf zugängliche Weise dargestellt.

Das sechsköpfige Team um Redaktionsleiter Julius Tröger veröffentlicht inzwischen sehr regelmäßig neue Arbeitsergebnisse. Mehrere Projekte stachen im vergangenen Jahr hervor. Für „Das sind Deutschlands grünste Städte“ griff die Morgenpost auf Satellitendaten zurück; bei „Berlin-Marathon 2016 – So schnell läuft Ihre Stadt“ konnten die Nutzer den Berlin-Marathon graphisch nacherleben und zum Beispiel schauen, wie die Teilnehmer aus einzelnen Stadtbezirken abschnitten; auf der Seite zu „Es war nicht immer der Osten – Wo Deutschland rechts wählt“ untersuchten die Journalisten, in welchen Regionen Parteien rechts der CDU in den vergangenen Jahrzehnten Wahlerfolge erzielten.

Unter der Überschrift „Alle 2559 Direktkandidaten – Wer sie sind, wofür sie stehen“ gibt es übrigens eine aktuelle Anwendung zur Bundestagswahl. In kurzer Zeit können sich Wähler zum Beispiel ein Bild über die Berufe und das Alter der Kandidaten machen oder auf einen Blick sehen, welche Partei mit dem höchsten Frauenanteil antritt.


Wie man Datenquellen findet, bewertet und nutzbar macht, ist auch ein Schwerpunktthema des Intensivseminars Datenjournalismus, das die Leipzig School of Media regelmäßig veranstaltet. Die Teilnehmer lernen, wie man Daten aufbereitet, analysiert und visualisiert.