Redaktionen und einzelne Journalisten treffen Hasskommentare in sozialen Netzwerken mit besonderer Wucht. Hater, Trolle und Extremisten verbreiten ihre Hassbotschaften mit Vorliebe dort, wo sie ein breites Publikum finden – und dies sind die reichweitenstarken Seiten von Zeitungen, TV-Sendern oder Online-Nachrichtenportalen. Kein Wunder also, dass das Thema in vielen Newsrooms auf der Agenda steht. Doch was lässt sich konkret tun. Wir haben sieben Tipps für Journalisten und Redaktionen im Umgang mit Hassrede gesammelt.
Hate Speech nimmt zu – mit Folgen für die Berichterstattung
Zuvor aber noch einige alarmierende Zahlen zum Thema. Die Universität Bielefeld veröffentlichte im Frühjahr eine Studie zu Hate Speech im Journalismus . Das Ergebnis: Zwei Drittel der dort befragten Journalisten sagten aus, dass hasserfüllte Reaktionen des Publikums in den vergangenen zwölf Monaten deutlich gestiegen seien. 42 Prozent der Teilnehmer der anonymen Onlinebefragung gaben an, im Jahr 2016 selbst von verbalen Angriffen betroffen gewesen zu sein. Ein Viertel berichtete von mehrmaligen bis regelmäßigen Attacken. Zugleich sagte ein Drittel der befragten Journalisten, dass es in ihren Redaktionen keine Hilfestellung im Umgang mit Hasskommentaren gibt.
Die Hate Speech wirkt sich in der Folge nicht nur auf die psychische Verfassung der Journalisten und Redakteure aus. Sie hat auch Konsequenzen für das redaktionelle Handeln. So schalten laut einer Umfrage des Magazins „Journalist“, die aktuell nicht online ist, viele Redaktionen ihre Kommentarfunktion ab. Noch schlimmer: 27 von 66 Redaktionen gaben an, bestimmte Inhalte aus Angst vor den Reaktionen nicht mehr auf Facebook zu veröffentlichen. Höchste Zeit also, etwas gegen die Hate Speech zu unternehmen.
1. Genügend Zeit und Energie investieren
„Professionelles Community- und Social-Media-Management kann nicht nebenbei gemacht werden“, schreibt die Social-Media-Expertin Meike Richter in ihrem Blog unter der Überschrift „10 Dinge, die im Community Management ständig schief laufen“. Dass dies insbesondere für den journalistischen Bereich gilt, weiß Richter aus eigener Anschauung. Sie ist Mitglied im Social-Media-Team des NDR und hat in vielen ARD-Anstalten Seminare zum Thema Hate Speech durchgeführt. Das Community Management, und damit der Umgang mit Hate Speech, gehört laut Richter ins Zentrum des Journalismus, sollte Teil der redaktionellen Routine sein.
Dass dies betont werden muss, liegt daran, dass noch immer viele Medienhäuser, Redaktionen und Journalisten soziale Netzwerke als Linkschleudern zur Steigerung der Reichweite betrachten. Es handelt sich jedoch um Kanäle zum Austausch mit Lesern und Zuschauern. Torsten Beek, Leiter Social Media bei Spiegel Online, sagte bereits in einer 2015 erschienenen Publikation der Amadeu Antonio Stiftung zum Thema Hate Speech: „Der Dialog mit unseren Nutzern muss Kern unserer Arbeit sein. Unsere Leser machen uns besser, geben Hinweise und im Idealfall ergibt sich aus einem Kommentar oder einem Tweet ein weiterer Baustein einer Geschichte.“
Social-Media-Redakteure können konsequenterweise nicht gleichzeitig die Strategie erarbeiten, Beiträge teilen und die Diskussion moderieren. Sie benötigen ausreichend Zeit, um Kommentare zu sichten, Fakten zu prüfen, kluge Erwiderungen zu schreiben und gegebenenfalls Anregungen und Kritik im eigenen Haus an die richtigen Stellen weiterzuleiten. Deutungshoheit kann nicht beanspruchen, wer zwischen zwei Tweets kurzerhand drei Kommentare löscht.
2. Präsenz zeigen und Stellung beziehen
„Eine Communityredaktion, die sich aus der Diskussion wegduckt, wird keinen Erfolg haben“, sagt die Social-Media-Koordinatorin von tagesschau.de, Anna-Mareike Krause in der oben erwähnten Publikation der Amadeu Antonio Stiftung. Und weiter: „Es hilft auch nicht, immer wieder nur den Hinweis auf die Netiquette zu posten. Als Communityredaktion muss ich auf Kritik reagieren und dafür offen sein, und ich muss Nutzer und Nutzerinnen unterstützen, die beleidigt oder aus der Diskussion gedrängt werden.“
Wer sich an Diskussionen beteiligt, benötigt eine Haltung. Viele Journalisten tun sich jedoch schwer damit. Sie sind es gewohnt, neutral zu bleiben. Hassrede taucht allerdings in den immer gleichen Zusammenhängen auf. Und es sind nicht die Äußerungen: Meist geht es um beleidigende, rassistische, frauenfeindliche, homophobe oder antisemitische Kommentare. Kein Redakteur lehnt sich zu weit aus dem Fenster, wenn er meinungsstark das Grundgesetz verteidigt. Alle Menschen sind gleich; die Würde des Menschen ist unantastbar; politisch Verfolgte genießen Asylrecht etc. Es sollte selbstverständlich sein, solche Grundsätze auch als neutral berichtender Journalist zu vertreten.
3. In die Offensive gehen und (sprachliche) Rahmen setzen
Das „No Hate Speech Movement“, eine vom Europarat initiierte Kampagne, rät allen Internetnutzern, Counter Speech (engl. für Gegenrede) einzusetzen. Das bedeutet, als Diskussionsteilnehmer laut und freundlich kundzutun, dass man Diskriminierungen, Generalisierungen und Herabwürdigungen nicht hinnehmen möchte. Hass soll nicht mit Hass, sondern mit „Argumenten, mit Humor und neuen Perspektiven“ gekontert werden. Das ist grundsätzlich auch ein guter Rat für Journalisten.
Viele Internetnutzer wenden ein, dass Menschen, die Hassparolen verbreiten, nicht von Argumenten zu beeindrucken sind. „Haters gonna hate“, heißt das in Internet-Kurzform. Social-Media-Expertin Meike Richter gibt auf ihrem Blog jedoch zu bedenken, dass man sich mit der Gegenrede gar nicht an den Hater, sondern an die schweigende mitlesende Mehrheit wendet. Und insbesondere an diejenigen, „die verunsichert und empfänglich sind für extreme Botschaften, aber noch offen für Argumente“.
Meike Richter empfiehlt darüber hinaus, im Community Management das Konzept des sprachlichen Framings einzusetzen. Dabei handelt es sich um einen kommunikationswissenschaftlichen Ansatz, der bis in die 1970er-Jahre zurückreicht. Als Frames werden sprachliche und gedankliche Rahmen bezeichnet, nach denen Menschen die Welt interpretieren. Sie sind eingeübt durch Erfahrung.
Die Buchautorin Elisabeth Wehling hat hierzu vergangenes Jahr ein populäres Buch veröffentlicht mit dem Titel „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht.“ Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung nannte sie im Mai als Beispiel dafür Donald Trump. Dieser beherrsche das Framing virtuos: „Wenn er seine Gegner und die Medien angreift, spricht er stets von Fake News. Seine Gegner tappen fast alle in die Falle, indem sie den Begriff aufgreifen. Auch wenn sie ihn dann verneinen.“ Dadurch blieben Trumps Gegner im gesetzten Deutungsrahmen und damit unterlegen.
Dieses Konzept lässt sich auf die Kommentarspalten übertragen. Wenn ein Kommentator von Lügenpresse schreibt und die Redaktion antwortet „Wir lügen nicht“, bleibt Unwahrheit und Lüge der Rahmen der Debatte. Die Redakteure sind in einer Verteidigungshaltung. Stattdessen sollten sie ihre eigene Haltung deutlich machen, das Framing selbst festlegen, etwa durch einen Hinweis darauf, dass man gewissenhaft arbeite und der Wahrheit verpflichtet sei. Ausführlicher und mit weiteren Beispielen erklärt dies Meike Richter in einem weiteren Blogbeitrag.
4. Auf die Wortwahl achten
Um Hassrede vorzubeugen und den Debatten den richtigen Rahmen zu geben, empfiehlt es sich, die eigene Sprache zu hinterfragen. Wer einen Beitrag zur Flüchtlingspolitik mit Worten wie „Flüchtlingswelle“ oder „Asylbetrug“ teasert, muss sich nicht wundern, wenn die folgende Diskussion fremdenfeindliche Tendenzen aufweist.
Mehrere Organisationen, die Interessen von Minderheiten vertreten, geben Hinweise zu problematischen Begriffen. Die Anwendbarkeit lässt sich manchmal diskutieren, aber zur Reflektion des eigenen Vokabulars eignen sich diese Glossare in jedem Fall. Eine Zusammenfassung bietet etwa die Seite „Neue deutsche Medienmacher“. Aber auch der Bund lesbischer und schwuler Journalist_innen hat einen Leitfaden geschrieben oder die Seite Leidmedien, die Interessen von Menschen mit Behinderungen vertritt . Das Ziel: Homosexuelle sollten sich heutzutage nicht mehr zu irgendetwas „bekennen“ müssen und Menschen mit Behinderungen sollten nicht als „Pflegefälle“ dargestellt werden.
5. Vorbereitet sein
Hate Speech bezieht sich immer auf die selben Themen. Immer werden die gleichen Personen oder Personengruppen beleidigt, verleumdet oder verächtlich gemacht. Das ist auch ein Vorteil. Denn Redaktionen können sich hierdurch auf die Hasskommentare vorbereiten und etwa eine Datenbank mit vorformulierten Entgegnungen anlegen, die bei Bedarf nur noch ein wenig angepasst werden. Das spart Nerven und redaktionelle Ressourcen.
6. Konsequent durchgreifen
Bei allen Bemühungen von Redakteuren eine Diskussion zu moderieren und eine Community zu aktivieren – es bleibt eine nicht unerhebliche Zahl von Kommentaren übrig, die einfach nicht stehen bleiben können. Im Interesse der gesamten Community sollten diese Kommentare gelöscht werden. Im Normalfall hat eine Redaktion hierfür bereits eine Netiquette erarbeitet, die nur konsequent angewendet werden muss. Die Meinungsfreiheit gibt niemandem das Recht, rassistische, diskriminierende, beleidigende und verleumderische Beiträge zu posten. Kein Medium muss die eigene Facebook-Seite für Hasspropaganda zur Verfügung stellen.
7. Sich auf die Guten konzentrieren
Traurig, aber wahr: Social-Media-Redakteure und Community Manager verwenden einen Großteil ihrer Arbeitszeit auf die Störer, Hater und Trolle. Daneben sollten diejenigen, die konstruktiv diskutieren, nicht vergessen werden. Für diese Leute wird das Angebot schließlich gemacht. Wenn jemand sich schützend vor andere stellt oder an alle appelliert, respektvoll zu bleiben, sollte das gefördert werden – mindestens durch ein „Like“, besser noch durch einen Kommentar. Hierdurch werden diese Beiträge auch stärker wahrgenommen, was den positiven Effekt verstärkt.
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