Über das Verhältnis von Vertrauen, Wahrheit und Qualität in der öffentlichen Kommunikation
Rezo macht ein Video und kritisiert die Medien; alle sind begeistert – ich auch. Dann antwortet die von Rezo heftig kritisierte FAZ ebenfalls mit einem Video; sie nimmt Rezos Argumentation auseinander, und (fast) alle, die Rezo eben noch gelobt hatten, stehen ziemlich belämmert da – auch ich.
Der Vorwurf der FAZ: „Der Youtuber Rezo verbrämt eine persönliche Abrechnung als aufklärerische Medienkritik – und bedient sich dabei genau der manipulativen Techniken, die er zu entlarven vorgibt.“
Auf den zweiten Blick
Rezo hatte in seinem Video seine Aussagen mit umfangreichen Quellenangaben untermauert – auf den ersten Blick erschien seine Methode damit transparent und seine Kritik berechtigt. Auf den zweiten Blick – geworfen von der FAZ – allerdings wurde klar, dass Rezos Kriterien bei Auswahl, Gewichtung und Einordnung der Quellen alles andere als nachvollziehbar waren.
Auch die ebenfalls von Rezo angegriffene WELT wehrt sich; auch hier ist die Argumentation, wie bei der FAZ, durchaus differenziert und auf methodische Fragen bezogen.
Meine persönliche Schlussfolgerung: Auch ich – obwohl durchaus ausgestattet mit einem methodenkritischen Instrumentenkasten – lasse mich in der Hektik der tagesaktuellen Aufgeregtheiten gerne mal zu vorschnellen Urteilen hinreißen; zumal dann, wenn Urteile Anderer latente (Vor)Urteile auf meiner Seite triggern.
Drei Fragen
Tritt man nun einen Schritt zurück, dann geht es in der Kontroverse um das Rezo-Video – neben vielen anderen Aspekten – im Kern um drei eng mit einander verknüpfte grundsätzliche Fragen:
- Lässt Rezos Video die journalistische(n) Qualität(en) vermissen, die er seinerseits von anderen Medien einfordert?
- Sagt Rezo die Wahrheit? Oder lügt er, um bewusst zu manipulieren?
- Und, allgemeiner gefragt: Wem kann man in aufgeheizten Diskurssituationen überhaupt (ver)trauen – klassischen (analogen) Medien, digitalen Medienangeboten, YouTubern?
Es geht also um drei Begriffe – Vertrauen, Wahrheit, (journalistische) Qualität – die in einem engen Beziehungs- und Bedingungsverhältnis zueinanderstehen. Und die einen gemeinsamen Bezugspunkt haben: das Gemeinwohl – dazu später.
Wenn wir das Beziehungs- und Bedingungsgeflecht zwischen den Begriffen betrachten, dann wird schnell klar: Hatten wir es früher mit einer Kommunikationslandschaft zu tun, die im Wesentlichen bestimmt war durch das Sender*in-Empfänger*in-Schema, so ist die gesellschaftliche Kommunikation heute geprägt durch:
- sich wechselseitig beeinflussende Kommunikationsströme und
- die sich daraus ergebenden Wechselwirkungen und Manipulationsmöglichkeiten
Der/Die (klassische) Empfänger*in wurde durch die Digitalisierung zum – in der Crowd durchaus wirkmächtige*n – Sender*in; der/die früher gegenüber den Publika einigermaßen autarke Sender*in wurde zum/zur Empfänger*in heftiger Kritik: Lügenpresse, Systemmedien, Fake News sind (noch?) die Kampfbegriffe einer Minderheit, doch das Misstrauen in weiten Teilen des Publikums wächst.
Vertrauen vs. Lügenpresse
Es geht also um Vertrauen: Wurde dieses Vertrauen früher vielen Medien – der Tagesschau, der örtlichen Tageszeitung, dem Nachrichtenmagazin – ohne Zögern ‚geschenkt‘, so müssen Medien heute tagtäglich um das Vertrauen ihrer Nutzer*innen kämpfen.
Womit wir bei den Begriffen ‚Wahrheit‘ und ‚Qualität‘ wären. Hier muss ich meine Überlegungen unziemlich verknappen. Der Begriff Wahrheit wurde in über 3.000 Jahren Philosophiegeschichte noch immer nicht abschließend definiert, und über die Definition des Begriffs (journalistische) Qualität wurde und wird zwar noch nicht so lange, aber mindestens ebenso erbittert, gestritten.
Wer in Hinsicht auf die Frage: ‚Wem kann man in der öffentlichen Kommunikation vertrauen?‘ nach Antworten sucht, der/die muss sich Fragen nach seinem/ihrem Verständnis von Wahrheit (z.B. ‚absolut‘, ‚relativ‘ oder ‚prozesshaft‘) gefallen lassen. Und er/sie muss die Frage beantworten, was für ihn/sie ‚journalistische Qualität‘ bedeutet.
Abschließend
Diese Fragen – so meine abschließende These – lassen sich ohne Bezug auf den Begriff ‚Gemeinwohl‘ nicht zufriedenstellend beantworten. Diese Diskussion hat in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Fahrt aufgenommen. Hier ist der Legitimationsdruck wegen der Kontroverse um den Rundfunkbeitrag schon heute groß. Für die privatrechtlich verfassten – klassischen wie digitalen – Medienangebote wird er immer dringlicher.
Angesichts des zunehmend fragilen Geschäftsmodells fast aller dieser Angebote wird – zur Sicherung der Qualität und Vielfalt des Angebots unabhängiger Medien – der Ruf nach neuen Wegen bei der Unterstützung solcher Medien lauter. Wer dieses fordert, muss seine/ihre Haltung zum Thema Gemeinwohl darlegen können.